Interessante Gesichter

Paul Swiridoff

Bilder aus "GESICHTER EINER EPOCHE", BELSER VERLAG STUTTGART ZÜRICH.

Der aussergewöhnliche Fotograph und aussergewöhnliche Mensch, Paul Swiridoff, schrieb:
"Nirgends manifestiert sich das Wunder der Schöpfung des Menschen ergreifender als in der Landschaft des menschlichen Gesichtes."
Diesem Rätsel ist er zeitlebens nachgegangen und hat einmalige Porträts von bedeutenden Menschen geschaffen. Wir stellen das Gesicht dieses Mannes an den Anfang unserer Betrachtungen, weil es ein nicht alltägliches Gesicht ist, das wesentliche und klare physiognomische Merkmale aufweist
Das ganze Erscheinungsbild fällt durch intensiven Glanz und Strahlung der Gewebe auf. Diese Strahlung zeigt die Feinheit der Seele, die das Leben dank einer starken Lebens- und Liebesenergie fühlend erfassen kann. Diese Energie führt Menschen unbewusst zur Natur, weil sie ihre innere Wesentlichkeit wahrnehmen können. Was weiter auffällt, ist die Kompaktheit des grossflächigen Gesichtes. In der Kompaktheit kommt der hohe Grad der Konzentrationsfähigkeit zum Ausdruck, in der Grossflächigkeit, bei hoher Erscheinungsqualität, der starke Drang nach intensiver geistiger Auseinandersetzung mit allem was Leben ausmacht. Es ist auch die Fähigkeit dem Leben nicht nur die geistige Seite abzuringen, sondern auch geniessen zu können. Die Stirn ist im unteren Bereich stark ausgeprägt, die Augenbrauen ebenfalls. Solche Menschen haben Talent zur Beobachtung. Dies weckt das Interesse

in diesem Bereich zu arbeiten und zu forschen. Die Partie über den Ohren ist breit, was die starke Veränderungsenergie sichtbar macht. Diese Energie drängt zu dauernder und unermüdlicher Tätigkeit. Es ist ein innerer Antrieb, der ständig verändernd und verwirklichend arbeiten will. Gleichzeitig erkennen wir an dieser Form die Fähigkeit, die oekonomische Seite der Arbeit zu würdigen und deren Wert zu verteidigen. Das ist eine unternehmerische Qualität. Die grossen Ohren zeigen ungewöhnliche Behauptungskraft und Lebensmut, die Ohrläppchen eine starke Regenerationsfähigkeit durch ein gut arbeitendes Lymphsystem. Solche Menschen können ihre Energien in kurzer Zeit regenerieren. Die Nase springt nach vorne und die Nasenspitze ist rund und prall gefüllt, was Neugierde, Genussfreudigkeit und Genussfähigkeit zum Ausdruck bringt. Das quellende Mittelgesicht sehen wir immer wieder bei Menschen die kontaktfähig sind. Die vorhandenen kritischen Gefühle machen hier jedoch wählerisch bei der Kontaktsuche. Die Form des Oberkiefers zeigt, dass Swiridoff sich auch gut selbst darstellen kann. Wenn er zu seiner Umgebung Vertrauen hat, wird er gerne von sich und seinen Werken erzählen.
Alle diese Anlagen und Fähigkeiten bilden eine ausgezeichnete Grundlage für eine grosse, unermüdliche, menschlich hochstehende, gesellschaftlich wertvolle Leistung.
Wie werden diese Qualitäten im Moment der Aufnahme umgesetzt?
Die Augen und ihre Umgebung zeigen intensive Beobachtung, es ist die alles Umgebende ausschliessende Konzentration auf einen spezifischen Gegenstand. Die Augen sind klein gemacht, wie das beim scharfen Beobachten üblich ist. An der Unterstirn können wir sehen, dass auch diese Formen auf einen Mittelpunkt oberhalb des Brillensteges zulaufen. Das bedeutet in der Sprache des Physiognomen, dass in diesem Moment alle Denkschichten auf einen Punk ausgerichtet sind. Die senkrechte Konzentrationsfalte an der Nasenwurzel über dem Brillensteg ist scharf und klar in der Formstruktur. Hier wird sichtbar wie klar und eindeutig Gedanken umgesetzt und auf einen Punkt gebracht werden können, die aus dem Beobachteten und geistig Verarbeiteten entstehen. Doch damit scheint Swiridoff nicht zufrieden zu sein, denn der Mund zeigt streng prüfende und sehr kritisch abwägenden Gefühle. Nichts wird akzeptiert was nicht perfekt ist. Es ist, wie wenn die nach vorne springende Nase sich riechend an der strengen Prüfung der beobachteten Form beteiligen würde. Dass er für diesen Qualitätsanspruch auch zu kämpfen bereit ist, zeigt die vorgeschobene Unterlippe. Die dabei gewählten Worte sind eher unwirsch. Das Kinn ist zurückliegend. Hier erkennen wir, dass Swiridoff, trotz leidenschaftlichem Einsatz, Geduld hat und abwarten kann bis alle kritisch geprüften Kriterien übereinstimmen, um dann, wie Marion Gräfin Dönhoff schreibt, "blitzschnell - manchmal auf geheimnisvolle Weise- den Augenblick zu erspähen in dem die beobachteten Gesichtszüge das Wesentliche zum Ausdruck bringen.".
Für den Physiognomen ergibt sich die "geheimnisvolle Weise" aus der qualitativen inneren Liebes- und Lebensenergie, welche in der Strahlung der Gewebe sichtbar ist, und aus der wachen intensiven Beobachtung. Sie werden zusammen auch als das "fühlende Sehen" bezeichnet. Menschen mit dieser Fähigkeit werden beim Beobachten der Natur und ihrem Formenreichtum zu Künstlern. Sie beobachten mit den Sinnen und dem Herz.
Die Kamera zeigt das Werkzeug, mit dem Swiridoff dank den beschriebenen Talenten so hervorragend arbeitet. Daraus entstehen ungewöhnliche Aufnahmen von Menschen mit ihren Anlagen und deren Entwicklung, oder von ihren Werken. Beides wird zum Zeugnis eines bestimmten Talentes oder einer daraus entstandenen schöpferischen Arbeit.

Die Analyse eines Menschen mit speziellen Gaben zeigt, wie man eine Persönlichkeit physiognomisch erkennt. Die physiognomische Analyse ist bei beiden Geschlechter anwendbar. Um eine seriöse Analyse durchführen zu können ist das Studium guter Fachbücher nötig und die Umsetzung aufgrund der Beispiele muss immer wieder geübt werden. Fachbücher sind im PPV Verlag zu erwerben. Literatur: www. ppv-verlag-gmbh.de

Wir wollen den Gesichtern, die Swiridoff so meisterhaft erfasst hat, nachgehen. So können wir seinem Einfühlungsvermögen mit denen er die Menschen betrachtet hat noch weiteren Raum geben.

Marcel Reich-Ranicki.
Marcel Reich-Ranicki ist ein Original von dem man weiss, aufgrund vieler Publikationen und grosser Medienpräsenz, dass er Ungewöhnliches leistet und schon geleistet hat. Mit seiner Originalität sind viele nicht einverstanden. Sein Einfluss auf das Literaturgeschehen ist jedoch gross. Man kann davon ausgehen, dass alle ihn kennen, die sich mit Literatur beschäftigen. Was will denn der Physiognom noch über ihn schreiben?
An der Gestalt von Marcel Reich-Ranicki, seinem Schädel und in seinem Gesicht sind jedoch Formen sichtbar, die Auskunft auf die Frage geben können: "Woher kommen seine Kenntnisse über die Literatur, die phänomenale Gabe der Kritik und die ungewöhnliche Art und Weise wie er sein Wissen dem Leser, dem Zuhörer und Zuschauer näherbringt?
Betrachten wir also das interessante Gesicht und lassen wir uns von diesem über die Wurzeln eines geistvollen, schlagfertigen Menschseins erzählen. Das Bild ist eine fotografische Meisterleistung von Paul Swiridoff, erschienen im Buch "Gesichter einer Epoche" Verlag Belser, Stuttgart Zürich.
Auf dem Bild nicht zu sehen ist die gewichtige Gestalt von Marcel Reich-Ranicki . Sie ist jedoch eine wesentliche Ursache seines Wesens und kennzeichnet einen Menschen, der mit grosser Standfestigkeit, kraftvoll und unbeirrbar, in sich selber ruht. Er lässt sich nicht leicht beiseite schieben. Lediglich Denken und Kritisieren bringen ihn aus dieser Ruhe, ohne dass dabei das Gewichtige verloren geht.
Das Gesicht ist grossflächig und hat ein weiches, offenes, robustes Gewebe. Daran sehen wir einen Menschen der voll ins Leben einsteigt. Geistig wie körperlich kann und will er aus dem Vollen schöpfen. Der Körper ist dafür die grosse Reserve- und Kraftzentrale. Asketische Lebensweise ist nicht seine Art. Luthers Worte: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders." charakterisiert einen wesentlichen Teil seines Wesens vortrefflich. Das Hautgewebe ist offenporig und lässt beim Betrachter das Gefühl von Wärme
aufkommen, vom Physiognom als "strahlende Wärme" bezeichnet. Das ermöglicht und bewirkt intensiven Stoffaustausch über die Haut. Sehr viele körperliche Belastungsstoffe können so über die Transpiration ausgeschieden werden, was wesentlich zur Gesundheit beiträgt. Menschen mit solchem Gewebe sind spontan und kommunikativ.
Die grossen Ohren zeigen eine kraftvolle aber auch differenzierte seelische Tiefenschicht. Das hier erkennbare, bedeutende seelische Potenzial, lässt seinen Besitzer elementar und mutig aus sich heraustreten und seine Sicht des Lebens mit Schwung verteidigen. Er hat den Mut und die Kraft laut zu sagen was er denkt. Die Ohren sind oben ausladend und leicht abstehend, was den seelischen Drang zum geistigen Führen erkennen lässt. Das weiche und quellende Mittelgesicht ist Ausdruck der grossen Kontaktfähigkeit und Kontaktfreude. Er versteckt sich nicht, sondern geht auf Menschen zu, um mit ihnen gemeinsam Probleme zu lösen und darüber zu streiten. Hier ist auch eine überdurchschnittliche Fähigkeit sichtbar, sich in andere Menschen einzufühlen. Die Nase hat für den Physiognomen zwei bemerkenswerte Angelpunkte: die Nasenwurzel und die Nasenspitze. An der prägnanten Nasenwurzel scheint sich alle Kraft der Stirn zu sammeln. An der Masse und Kraft dieser zusammendrängenden Form ist ein außergewöhnliches Gedächtnis zu erkennen und in der Faltenbildung die Willensanstrengung, Gedanken konzentriert in eine Einheit zu bringen. Der in der Proportion des Gesichtes zurücktretende Nasenrücken zeigt, trotz der wuchtigen Präsenz der Persönlichkeit, dass er sich auch diplomatisch anpassen kann. Die volle, runde Nasenspitze lässt einen enormen Instinkt für Lebenspraktisches und Lebenskluges erkennen. Marcel Reich-Ranicki hat die Fähigkeit, das Sein zu geniessen. Die nach unten gehende Nasenspitze lässt gründliches Vorgehen annnehmen.
Das Seitenhaupt über den Ohren ist breit, was einerseits einen grossen Antrieb zu unermüdlichem Arbeiten und stetigem Verändern erkennen lässt, andererseits erkennen wir hier die grosse ökonomische Intelligenz. Daraus resultieren starke Impulse zum Erkennen, Erhalten und Vermehren von Werten. Das aus seinen Talenten hervorgehende Interesse an der Sache, ist ein weiteres Antriebselement zu unermüdlicher Tätigkeit. Sein Gehirn wird wohl auch aktiv sein, währenddem er geniesst.
Wesentlich für die Analyse seines Wesens ist zudem die Plastik die durch den Lichtschein am Seitenhaupt gekennzeichnet ist. Hier erkennt der Physiognom den inneren Drang, Wissen zu sammeln. Das ausgezeichnete Gedächtnis (Nasenwurzelpartie) steht im Zusammenhang und ständigem Austausch mit dieser unablässig neu bereicherten Datenbank des Wissens.
Wohin drängt die übrige Anlage diesen Mann?
Von der Nasenwurzel aus zieht sich an der Unterstirn ein Zug nach aussen und oben. An der Kante des Seitenhauptes fällt dieser in grossem Bogen nach unten ab. Diese Form markiert und umkreist einen speziellen Bereich der Stirn. Eine ähnliche Form der Augenbrauen wird im Theater immer wieder dem Mephisto zugeordnet, der überall etwas Negatives sucht. Das linke Auge ist mit seiner Stellung in diesen Ausdruck eingebunden. An diesem Bereich über dem Auge realisiert der Physiognom die Anlagen für Sprache, Ordnung, Musik und Zahl. Das spezielle Interesse an der Sprache und ihrer Formulierung, ist auf dieses beträchtliche, angeborene und ausgebaute Talent zurückzuführen. Die Lachfalten unterhalb vom Brillengestell zeigen, dass bei seinen Lebensbetrachtungen der Humor nicht zu kurz kommt. Die brillanten Formulierungen von Marcel Reich-Ranicki, die wie Sprachmusik erscheinen, sind wohl deshalb auch so locker. Dabei stimmt Wort für Wort, ist präzise geordnet und klar im Ausdruck. Seine Ausführungen werden so zu einem speziellen Genuss und erhalten zusätzliches Gewicht.
Auch die Form des Mundes, die uns Gefühle zeigt, ist sehr interessant. Kraftvolle Lippen zeigen kerniges Empfinden, die trotz seinem Alter von 76 Jahren nichts Verbissenes ausdrücken. Seine Sprache ist entsprechend kraftvoll und saftig. Der Mund ist breit, was darauf hindeutet, dass es dem Formträger möglich ist, negative Lebensumstände in Ruhe wegzustecken. Die Sensibilität einer Mimose ist ihm fremd. Mimosenhafte Kritik begreift er wohl am wenigsten. Er kann die Türe zum Vergangenen schliessen und, ohne sich noch einmal umzudrehen, mit voller Kraft neuen Ufern entgegengehen. Er braucht zur Bewältigung seiner Lebensprobleme keinen Psychotherapeuten. Die kritische Art nun, mit welcher er auf Fragen der Partner oder auf Gegebenheiten in der sprachlichen Darstellung reagiert, zeigt sich an der geschürzten Oberlippe, die uns einen leicht ironischen Sarkasmus signalisiert. Seine Gefühle sind immer auf dem Sprung um Ungereimtes zu erkennen, zu kritisieren und dann gleich dagegen loszuziehen. Er findet, dank seinem fabelhaften Gedächtnis, immer Einwände und untermauert diese durch Vergleiche mit Arbeiten anderer Schriftsteller. Ein Lob von ihm ist Gold wert. Er ist also, gemäss den geistigen und gefühlsmässigen Anlagen (Stirnform, Oberlippenform), der geborene Literaturkritiker. Kritik ist sein Leben. Die Art wie er kritisiert, entspricht ganz seiner Anlage.
An der leuchtenden kleinen Erhebung am Kinn ist zu erkennen, dass Marcel Reich-Ranicki auch sehr schnell emotional erregt wird und dann abwehrend reagieren kann, was er mit seinem schnellen Geist vor dem Publikum meistens geschickt abfängt. Diese emotionale Reaktion könnte ihm im Privatleben manchmal einen Streich spielen, denn im privaten Bereich werden Anlagen eher unkontrolliert, anlagentypisch ausgelebt.
Die Augen schauen uns sehr kritisch, aber auch liebevoll an. Ihre Stellung ist ähnlich dem Blick eines religiösen Menschen. Die Literatur scheint, aufgrund von Anlage und Entwicklung, zur Religion von Marcel Reich-Ranicki geworden zu sein. Sie ist für ihn Maßstab und Leitlinie geworden. Hier findet er die ihm gültig erscheinenden Wahrheiten indem er die Schriftsteller auf ihrer Suche nach dem Sein, das so schwer zu beschreiben ist, vergleicht. Danach wird der Kritiker auch zum streng vergleichenden Lehrer, der das Gesagte mimisch mit dem Zeigefinger unterstreicht und damit als sehr wichtig erklärt.

Weshalb denkt und handelt ein Mensch in dieser Art und Weise? wird oft gefragt. Die Physiognomie von Gestalt, Schädel und Gesicht ist ein Anhaltspunkt für eine Antwort. Mit der Physiognomik kann sie erarbeitet werden. Wir sollten dieses Instrument vermehrt einsetzen, um spezifische Standpunkte und Handlungen zu erklären und zu begreifen.


Hildegard Hamm-Brücher
Die Meisterfoto von Paul Swiridoff aus dem Jahr 1996, bringt viele ihrer hervorragenden Eigenschaften zum Ausdruck.
Leistungsausweis
Am 11. Mai 1921 geboren, hat Hildegard Hamm-Brücher zuerst ein Studium der Chemie mit Dr. rer. nat. abgeschlossen und arbeitete dann als wissenschaftliche Redakteurin. Ihre politische Laufbahn begann sie 1948 als Stadträtin. Ab 1950 war sie Abgeordnete im Bayrischen Landtag, ab 1970 Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, 1976 Staatsministerin im auswärtigen Amt, 1994 kandidierte sie als Bundespräsidentin. Sie ist mit dem Juristen Dr. Hamm verheiratet. Beide schenkten zwei Kindern das Leben. Bei ihrem politischen Einsatz zeigte sie besondere Interessen an der Erziehung, Bildung und Entwicklung sowie an der demokratischen Freiheit. Ihr pädagogisches Engagement führte sie neben ihren Ämtern zu Führungsarbeiten an der Volkshochschule, bei der Schulpflege und im Elternbeirat. Trotz vieler Auszeichnungen und Ehrungen blieb sie immer bescheiden und offen für jeden echten, menschlichen Fortschritt. Eine vorbildliche Führerpersönlichkeit. Wo sind nun die Eigenschaften zu erkennen, die zu ihrer spezifischen Lebenshaltung führten? Das Gesicht weisst ein Hautgewebe auf, das strahlt. Die Haare sind sehr fein. Beides zeigt ein bedeutendes Potenzial an Lebens- und Liebesenergie. So veranlagte Menschen erreichen vielfach ein hohes Alter, bei guter Gesundheit. Diese Energie ist Grundlage für die Fähigkeit, unabhängig von anderen Eigenschaften, sich fühlend in andere Wesen zu versetzen. Dauernd erhalten solche Menschen innere Impulse, die zu ihrem realen Denken menschliche Aspekte beisteuern. Es ist wie eine natürliche Religiosität, eine innere Intelligenz der Gefühle, ein Kern von göttlichem Sein. Daraus resultiert die Suche nach umfassendem Lebenszweck, nach Lebensrechten. Es ist die vererbte und durch humane Handlungen weiter entwickelte Energie, die zusammen mit naturwissenschaftlichem Wissen zur Weisheit führt, was diese Frau zweifellos erreicht hat.
Die wachen Augen, mit ihrem bestimmten, aber weichem Ausdruck und deren Umgebung, fallen auf. Die oberen Augenlider sind gerundet, ähnlich wie das in Schulbeispielen beim weisen Blick beobachtet werden kann. Eine solche Form wird vom Physiognomen als schön bezeichnet. Der Überbau, durch die Augenbrauen markiert, ist ebenfalls wie eine Kuppel. Dies repräsentiert den Sinn für und die Freude an gerundeten Formen. Die Augenhöhle ist gross und offen. Das lässt den Schluss zu, dass Frau Hamm-Brücher in umfassender Art dauernd aufnehmen muss. Aufmerksam geht sie durchs Leben und beobachtet alles was um sie herum geschieht, umfassend. An der Plastik zwischen Augenbrauen und oberen Augenlidern erkennt der Physiognom ein sehr gutes Sprachgefühl. Vom Ende ihrer rechten Augenbraue führt eine prägnant modellierte Stirnkante nach oben. Verbunden mit der Formkraft und der Faltenbildung am Fuss dieser Plastik, erkennen wir den Sinn für Mathematik und die Fähigkeit, Gedanken mathematisch exakt zu ordnen.
Die Augenbrauen sind weit voneinander entfernt und lassen die Nasenwurzel frei. Hier gibt sich geistige Offenheit kund. Solche Formen sehen wir immer wieder bei Menschen, die bis ins hohe Alter unvoreingenommen dem Neuen begegnen und dieses laufend in ihr Lebensbild aufnehmen können. Die kraftvolle Form der Nasenwurzel lässt ruhiges, geistiges Erfassen und ausgezeichneten Sinn für Formen aller Art erkennen. Die Faltenbildung zeigt, dass diese Fähigkeit auch angewendet worden ist. Menschenkenntnis ist Erkenntnis der differenzierten Formen. Frau Hamm-Brücher wird aus diesem Grund, auch ohne bewusstes Wissen über physiognomische Gesetze, Menschen sofort in ihrer Wesensart, ihren Möglichkeiten und Grenzen erfassen können.
Die Unterstirn ist kraftvoll, was in dieser Art bei Frauen eher selten ist. Hier erkennen wir das allgemeine Talent für alle Naturwissenschaften und oberhalb der Nasenwurzel ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Aber auch der obere Teil der Stirn ist plastisch und zeigt Formqualität. Darin entstehen Gedanken für Soziales, die sie ausgezeichnet mit realem Denken zu verbinden vermag. Ihre Gedanken kann sie trefflich in Worte fassen. Diese Fähigkeit kommt an der langen Nase zum Ausdruck. Hier sehen wir auch die innere Kraft und den Antrieb, das Leben planend zu gestalten. An der tiefgehenden Nasenspitze erkennen wir ein gründliches Vorgehen in allen Lebensbereichen.
Das weiche und quellende Mittelgesicht zeigt das aus einer warmen Gemütskraft hervorgehende Geschick, in herzlicher Art auf Menschen zuzugehen und mit ihnen Kontakt zu pflegen. Die Gemütskraft ist der Jungbrunnen der Seele, der bei Schwierigkeiten, die das Leben für jeden Menschen bereit hält, immer wieder hilft, diese zu überwinden.
Die Falten, die sich neben den Augen gebildet haben und die bis ins Mittelgesicht vorhanden sind, zeigen uns, dass der Kontakt zu allem Leben immer auch mit Humor verbunden wird. Frau Hamm-Brücher lacht wohl oft und gerne.
Kinn und Untergesicht lassen kraftvolle Lebensimpulse und eine sehr gute Durchsetzungsfähigkeit erkennen.
Der Mund ist kraftvoll. Demgemäss haben die, auch in ihrem Alter noch saftigen Gefühle nichts mimosenhaftes. Sie stellt sich mit selbstverständlicher Kraft und voller Emotionen, den Gegebenheiten und den Diskussionen.
Auch die Zähne lassen erkennen, dass sie etwas erträgt und -im übertragenen Sinn- auch kräftig beissen kann. Sie weiss sich zu wehren und packt, bei aller Menschlichkeit, in einer Art zu, die von Frauen vielfach nicht erwartet wird.
Frau Hamm-Brücher lebt wie sie ist und bleibt damit sich selber, was als natürliche Autonomie bezeichnet werden darf. Emanzipation ist für sie keine Frage und kein Problem.

Künstler sind auch Menschen
Auch Künstler sind Menschen wie wir alle, mit vorgegebenem Genom. Mit den daraus resultierenden Impulsen gestalten sie, ihrer Ausbildung und dem daraus entstandene Kunstverständnis gemäss, ihre Werke. Sie sind, wie wir, "Sklaven" ihrer von den Vorfahren mitgegebenen Innenstrukturen. Die Zeit prägt zweifellos ihr Denken und Handeln. Doch die durch Vererbung vorgegebenen Möglichkeiten sind die ersten Grundlagen ihrer Werke. Marcel Duchamp,1887-1968, ein wesentlicher Inspirator der modernen Kunst, meint sinngemäss: "Durch die Kunst manifestiert sich der Mensch als wahres Individuum." Wir wollen diesem Individuellen, den inneren Werten und der daraus resultierenden Gestaltungskraft, in den Gesichtern von zwei Künstlern nachgehen. Der physiognomische Ausdruck, der zur Gestaltung drängenden Energien, könnte bei diesen Beispielen unterschiedlicher kaum sein.

Alfred Lörcher, 1875 - 1962, Bildhauer und Zeichner.

Das Bild entstand 1955 durch Paul Swiridoff. Lörcher studierte in Karlsruhe und München. Er war Professor an der Stuttgarter Kunstgewerbeschule und an der Stuttgarter Akademie der Künste. Mit fragendem, kritischem und doch liebevollem Blick schaut er uns an. Ohne Stolz, selbstverständlich, bescheiden. Frisur und Bart zeigen die gleiche schlichte Art. Blenden kann er nicht. Es scheint, wie wenn er sich für die Aufnahme durch den Fotografen mit seiner feinen Hand am Holzgestell festhalten müsste, um so sicherer zu sein. Die Nasenwurzel ist markant und zeigt, mit den nach oben zusammenlaufenden Falten, die Anstrengung, welche nötig war, um Formen zu sehen, zu erfassen und in Kunstwerke umzusetzen. Ähnliche Faltenbildungen sehen wir immer wieder bei Menschen, die sich in irgend einer Weise intensiv mit dem vielfältigen Ausdruck der Natur beschäftigten. Faltenbildung erfolgt immer durch Anstrengung. Je höher das geistige Potential ist, umso qualitativer ist, bei gleicher Anstrengung und damit gleicher Faltenbildung, das Resultat der Arbeit. Die Augenbrauen von Lörcher sind speziell geformt. Das unterstreicht das Talent zur Naturbeobachtung und zeigt auch eine originelle, leidenschaftliche Gedankenwelt. Die Nase ist kurz aber prägnant, mit feiner Spitze. In dieser Nase erscheint ein differenziertes psychologisches Einfühlungsvermögen. Auch der Mund, als Ausdruck seiner Gefühlswelt, ist fein. Das kleine Untergesicht lässt ebenfalls erkennen, dass Lörcher kein kraftvoller Kämpfer ist. Er ergriff nie öffentlich Partei. Seine Waffe ist liebevolles Beobachten und Einfühlen, um dann zu versuchen, mit gut überlegten Argumenten zu überzeugen. Er führt eine feine Klinge. Auch die grossen Ohren, welche seinen Mut zeigen, haben eine feine Struktur. Sie sind oben abstehend. Hier zeigt sich sein seelischer Drang zum Geistigen, das ständig nach Neuem sucht, um Altes zu verändern, dies nie revolutionär. Wenn ihn jemand in seinem Selbstverständnis bedrängen will, zieht er sich in sich zurück. Mit seinem der Innerlichkeit, dem Subjektiven zugeneigten Wesen, schuf Lörcher feine Plastiken und Reliefs in kleinen Formaten, die nach innen wirken und den Betrachter in ihrer Feinheit berühren.

Markus Lüpertz geboren 1941, Bildhauer, Maler und Grafiker.

Das Bild wurde im Oktober 1997 von Paul Swiridoff aufgenommen.
Wie unterschiedlich ist doch sein Berufskollege Markus Lüpertz. Er wurde 1941 in Reichenberg (Böhmen) geboren, arbeitete vorübergehend im Kohlenbergbau untertags und im Strassenbau. Er studierte Kunst in Krefeld und Düsseldorf, wo er heute als Rektor der Staatlichen Kunstakademie arbeitet.
Ein Kopf wie aus Bronze gegossen, prall mit Leben gefüllt. Jeder Zentimeter zeigt Kraft, Eigenständigkeit, Wille, Durchsetzung und Opposition. Ich bin ich, sagt die Kopfhaltung. Ich gestalte mein Leben nach meinem Sinn und bin bereit dafür zu kämpfen. -Lüpertz wurde ohne Motivation durch seine Eltern zum Künstler-. Nichts kann mich von meinem Weg abhalten. Ich setze mich für meine Ideen auch öffentlich ein. Eine Form welche an diesem Kopf speziell auffällt, ist die innere Ohrleiste. Sie leuchtet, wie von einem inneren Licht erfüllt. Das bedeutet in der Sprache der Formen, dass eine grosse, seelische Kraft und Energie vorhanden ist, die zum Gestalten drängt. Solche oder ähnliche Formung der inneren Ohrleiste finden wir immer wieder bei schöpferischen Menschen, zum Beispiel bei Schauspielern, Musikern, Künstlern, Ingenieuren. Diese Energie ist der Motor der dazu drängt, der inneren Befindlichkeit nach aussen bleibenden Ausdruck zu geben. Das Ohr ist bei Lüpertz tief angesetzt, was uns den Realisten verständlich macht, der seine Ziele mit Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit verfolgt. Die Haltung des Kopfes zeigt, im Gegensatz zu Lörcher, den Menschen, der gerne bewundert sein möchte. Hier kommt eine gewisse Eitelkeit zum Ausdruck, die wohl auch im übrigen Leben bestimmend ist und gelebt wird. Er setzt sich in Szene. Aktives Vorgehen ist angesagt. Die Oberlippen sind, ähnlich wie bei Marcel Reich-Ranicki , leicht geschürzt, was den Kritiker zeigt. Die Kritik an der ihn umgebenden Welt wird, gemäss der vorhandenen Kraft, vorgetragen. Die nach aussen gebogene Nase mit ihrer klaren Linienführung lässt eine grosse Willensenergie erkennen. Das bedeutet Fleiss, Unabhängigkeitsstreben und den inneren Antrieb Führungsaufgaben zu übernehmen, um möglichst unabhängig zu bleiben. Solche Menschen versuchen mit Regeln Ordnung zu schaffen und werden leicht autoritär. Sie übernehmen Verantwortung, sagen was sie denken und stehen auch nach aussen kraftvoll dazu. Auf sie ist Verlass. Doch wenn es ihnen als nötig erscheint, können sie hart durchgreifen. Die Augenbrauen sind originell wie bei Lörcher, aber kräftiger und breiter. Verbunden mit dem intensiven Blick und den betonten Backenknochen können wir uns sehr gut vorstellen, wie lebhaft und intensiv seine kritischen Worte vorgetragen werden. Über dem Ohr ist der Kopf breit und zeigt grosse Spannung, was ein Zeichen ist, dass die Energien der Veränderung, den Willen zur Tätigkeit unterstützen. Lüpertz wird damit zu einem rastlosen, energischen Schaffer. Solche Menschen sind unermüdlich auf Achse, ihre Energie scheint unerschöpflich. Fragt man, ob sie sehr aktiv seien, werden sie energisch abwinken, denn sie haben die Ansicht und sind der Überzeugung, es müsste noch vielmehr möglich sein. Am Seitenhaupt erkennen wir auch die Fähigkeit, den Wert der eigenen Arbeit so einzuschätzen und zu propagieren, dass zuletzt ein materieller Gewinn möglich wird. Erwerb wird nicht negativ bewertet, sondern als Tugend betrachtet. Eine solche Fähigkeit geht Lörcher völlig ab. Die Haare sind bei Lüpertz abgeschnitten. Das könnte ein Zugeständnis an die Zeit sein, wenn der Haarschnitt nach der allgemeinen Einführung des Kahlkopfes entstanden ist. Wenn die Haare aber vor diesem allgemeinenTrend abgeschnitten wurden, könnte es ein weiterer Ausdruck des Unabhängigkeitswillens sein.

Von diesen Anlagen her gesehen ist es nicht verwunderlich, wenn die Gemälde, Zeichnungen und Plastiken von Lüpertz, die er teilweise als dityrambische (trunkene) Kunst bezeichnet, kraftvolle, eigenwillige Formen und Farben zeigen und nach Aussen wirken.

Folgerung
Wir haben am Äusseren von zwei Künstlern Innenstrukturen erkannt, die wir wohl als entgegengesetzt bezeichnen dürfen. Dieses Innere ist zur Lebensbewältigung erst einmal vorgegeben. Vornehmlich daraus entstehen ihre Werke, ihre Lebensauffassung, die Art wie sie ihre Kunst gestalten und in der Gesellschaft vertreten. Durch die Betrachtung der äusseren Formen gelangen wir also zu einem besseren Verständnis unterschiedlicher menschlicher Lebensauffassung, Lebensart und Lebensbewältigung.

Je früher wir uns mit den Formen beschäftigen und die eigene Beschaffenheit im Spiegel betrachten, umso eher gelingt uns der so schwere Zugang zu uns selber, zu unserer einmaligen Wesenheit, mit der wir leben müssen aber auch dürfen. Wir erkennen an den Veränderungen der Formen aber auch die Auswirkungen von positiven und negativen Prägungen durch unser Schicksal, was uns das Steuern unseres Wesens etwas erleichtert.

Der Gott aus der Evolution

Konfessionen entstehen

Was zeigt eine Analyse